Daniel J. Schüz
Für die Aktiven ist Siegfried Bosshard der wichtigste Mann in der StNG-Zentrale: Er teilt die Trios ein, stellt Routen zusammen, nimmt Lob entgegen und manchmal auch Kritik. Für die Aktion 2017 war er vom damaligen Präsidenten Dölf Hitz zunächst als Disponent eingesetzt und bald schon zum Chlaus-Chef ernannt worden. Im Jahr darauf gehörte er zu den wenigen Vorstands-Mitgliedern, die nach einer tur- bulenten GV unter der neuen Präsidentin Karin Diefenbacher ihr Amt beibehalten haben. Und jetzt musste er einen schweren Entscheid mittragen: Die erste Absage einer Samichlaus-Aktion in der Ge- schichte der Gesellschaft.
70 Jahre St. Nikolausgesellschaft: Als du zu uns gestossen bist, wurde jubiliert. Und jetzt, drei Jahre später, kapituliert – vor einem Virus, gegen das selbst der Samichlaus machtlos ist. Wir kam es zum Shutdown der Aktion 2020?
Noch im Sommer und während der ersten Herbstwochen haben wir im Vorstand alle Möglichkeiten erwogen, geplant und gehofft. Wir waren überzeugt, dass die Aktion durchgeführt werden kann.
„Samichlaus und Schmutzli hätten Bart und Gewand nach Hause nehmen sollen“
Samichlaus und Schmutzli mit der Maske über Schnauz und Bart?
Das geht natürlich nicht, deshalb war vorgesehen, dass die Einhaltung der Distanz sehr streng beachtet werden muss – nicht nur im Rahmen eines Besuchs bei den Kindern, sondern schon davor. Für die Zentrale wurde ein ausführliches Schutzkonzept erarbeitet. In der Diskussion über eine mögliche Absage der Aktion, erwog der Vorstand alle möglichen Massnahmen – so sollten die Chläuse und Schmutzlis ihre Gewänder, Perücken und Bart-Garnituren mit nach Hause nehmen, man wollte im Rahmen vorbereitender Gespräche die Raumverhältnisse klären. Auch bei Besuchen in Kindergärten und Altersheimen sollte man den Menschen nicht mehr nahe kommen dürfen.
Und plötzlich sorgte das Ge-rücht, die Samichlaus-Aktion sei dennoch abgesagt worden, für Verwirrung in der Öffentlichkeit: Die Präsidentin musste umgehend scharf dementieren.
Das ist aufgrund einer Falsch- Meldung in der Zeitung pas- siert: Das Gratisblatt «20 Minu- ten» hat von Radio Zürisee ein Interview mit Karin übernom- men, in dem sie das Projekt «Zoom-Samichlaus» erwähn- te. Daraus ist dann voreilig der Schluss gezogen worden, die Aktion sei bereits abgesagt.
Und dann hat das Dementi dementiert werden müssen …
Bei unserer Vorstandssitzung vom 22. Oktober – zu einer Zeit, als die Fall-Zahlen deutlich zunahmen und die Behörden ihre Schutzmassnahmen laufend verschärfen mussten – sahen wir uns dann doch gezwungen, die Durchführung der Aktion abzusagen. Es war ein Entscheid, der uns sehr schwergefallen ist.
Was hat den Ausschlag gegeben?
Letztlich war es ein Sieg der Vernunft über das Herz. Masken kamen von Anfang an nicht in Frage, die konsequente Einhaltung des Abstandes konnte nicht gewährleistet werden – auch der Umstand, dass Menschen, die einander in der Regel nicht kennen, zwei Stunden lang in einem Auto sitzen, sprach gegen die Durchführung der Aktion.
Dafür kommt jetzt der «Zoom- Samichlaus» online zu Be- such. Wie darf man sich das konkret vorstellen?
Samichlaus und Schmutzli sitzen in der Zentrale – also im Waldhüsli natürlich! – vor der Kamera und plaudern eine halbe Stunde lang mit den Kindern, erzählen vielleicht eine Geschichte, die erklärt, warum sie diesmal nicht persönlich kommen können.
Was ist mit den Geschenken, den Guetsli, Mandarinli und Nüssen?
Zum Schluss fordert der Samichlaus die Kinder auf, sie sollen doch mal vor die Tür gehen und nachschauen …
Der «Zoom»-Samichlaus ist also so was ähnliches wie bis anhin das Chlaus-Telefon – nur, dass man ihn jetzt auch noch sehen kann.
Mit dem Unterschied, dass die Kinder bisher selber anrufen konnten. Bei Zoom wird eine Anmeldung nötig sein; die Eltern bekommen dann einen Link, mit dem sie sich zu gegebener Zeit einloggen können. Und dafür wird dann auch eine Gebühr erhoben …
Dennoch werden wichtige Einnahmen wegbrechen. Wie wirkt sich die Absage der Aktion finanziell aus?
Das lässt sich jetzt natürlich noch nicht ohne weiteres beziffern. Es fallen ja viele budgetierte Ausgaben nicht an, insofern sparen wir auch. Aber ja, der grösste Teil der Einnahmen, die ja alle der gebenden Hand zugutekommen, fällt weg.
«Samichlaus und Schmutzli müssen bleiben,
was sie immer waren: Gute Freunde
und geheimnisvolle Figuren.»
Wie war das, als du selbst noch ein Kind warst: Hattest du Respekt vor dem Samichlaus, Angst vor dem Schmutzli?
Ich weiss noch, dass wir meistens bei den Grosseltern in der Stube waren, wenn der Samichlaus kam. Es war weder eine besonders schöne noch eine ausgesprochen schlechte Erfahrung; für mich als Kind hat der Samichlaus keine besondere Rolle gespielt.
Wie kam es, dass er dir heute, wo du selbst Grossvater bist, zur Lebensaufgabe geworden ist?
Es fing mit einem Inserat im Tagblatt an: Die St. Nikolausgesellschaft suchte einen Disponenten. Ich hatte nach meiner Pensionierung Zeit, fühlte mich reif für eine neue Aufgabe. So schaute ich mir die Web- seite der St. Nikolausgesellschaft an, sie sah professionell aus; ich suchte das Gespräch mit dem damaligen Präsidenten Dölf Hitz – und das verlief sehr vielversprechend. Mit meiner Erfahrung als Pädagoge traute ich mir die Aufgabe zu: Chlaus-Chef ist in einigen Bereichen nicht viel anders als Schulleiter.
Du warst ein Leben lang Pädagoge. Vielleicht wolltest du dich ja auch einfach wieder vermehrt um Kinder kümmern.
Als Disponent habe ich ja keinen Kontakt mit Kindern. Ich suche die organisatorische Herausforderung, ich möchte die logistischen Probleme lösen. Als Schulleiter habe ich Stundenpläne zusammengestellt, jetzt mach ich dasselbe mit den Einsatzplänen für die Trios.
Aber für den Chlaus-Chef geht es um mehr als nur um Planung und Logistik. Allerdings. Es geht vor allem um den Erhalt und die Pflege einer Tradition, die bedroht ist: Sie droht, in Vergessenheit zu geraten.
Und wird von den Marketing-Heinis vereinnahmt: Aus dem Samichlaus ist eine Kommerzfigur geworden, ein Popanz mit Pluderhosen, der an Hausfassaden herumklettert und im Coca Cola-Truck durch die Gegend rast.
Das ist ein Trend, den ich mit Besorgnis verfolge. Ich will mich dafür einsetzen, dass Samichlaus und Schmutzli bleiben, was sie immer waren: Verständnisvolle, aber auch geheimnisumwitterte Freunde, die ein Strahlen in die Kinderaugen zaubern. Ganz wichtig ist dabei aber auch das Prinzip der gebenden und der nehmenden Hand. Das Geld, das wir einnehmen, wenn wir Familien besuchen, kommt grösstenteils jenen Kindern zugute, die es am nötigsten brauchen.
Du bist von Präsident Dölf Hitz zur StNG geholt worden, dessen designierter Nachfolger Hans Ernst Weber hat dich eingearbeitet – und dann kam alles ganz anders! Wie hast du diese strube Zeit erlebt?
Ich bin davon ausgegangen, dass Hans Ernst der neue Präsident wird. Entsprechend gross war die Überraschung, als im Vorfeld der GV im Frühling 2017 eine Gruppe Aktive Karin Diefenbacher als Sprengkandidatin aufbaute. Sie ist dann ja auch gewählt worden. Ich war noch neu bei der StNG und beschloss, erst mal abzuwarten und nicht gleich den Bettel hinzuschmeissen.
Hast du das schon einmal bereut?
Keinesfalls. Am Anfang herrschte zwar ein ziemliches Chaos, entsprechend gross war der Arbeitsaufwand: Ich war ChlausChef, Büro-Leiter, Eseli-Treiber, alles gleichzeitig. Aber ich lasse mich nicht so rasch ins Bockshorn jagen. In solchen Fällen kommt mir meine Erfahrung und meine strukturierte, lösungsorientierte Haltung zugute. Wie bei jedem Führungswechsel braucht es etwas Zeit um sich gegenseitig kennenzulernen. Heute weiss ich: Mit Karin hat die Gesellschaft eine gute Prä- sidentin gewählt – wir arbeiten sehr konstruktiv zusammen.
«Ich lasse mich nicht ins Bockshorn jagen.»
Als Chlaus-Chef musst du an allen Fronten Konflikte schlichten: Eltern beschweren sich, weil der Samichlaus zu spät kommt, Chläuse können nicht mit dem Schmutzli – oder umgekehrt. Welche Probleme überwiegen – die internen oder die externen?
Schon jene von aussen. Wenn mal was schief gelaufen ist, entschuldige ich mich bei den Kunden und sage, es wäre schön, wenn wir nächstes Jahr trotzdem wieder einen Samichlaus schicken dürften. Es gibt aber auch Leute wie jener Vater, der sich wortreich wegen irgendetwas beschwerte. Als ich versuchte, ihm die Hinter- gründe des Problems zu erklären, meinte er, ich solle mich nicht auch noch rechtfertigen. Da denke ich bei mir: Dumme Siech, wieso reklamiersch de? Und wünschte ganz freundlich einen schönen Abend.
Der oberste Chlaus ist noch nie im roten Gewand gelaufen
Siegfried Bosshard wurde am 15. November 1955 in Zürich geboren und hat sein Berufs- leben vierzig Jahre lang als Pädagoge der Ausbildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen gewidmet, zu- erst als Primarlehrer, später als Schulleiter. Und seit zwei Jahren als oberster Samichlaus – auch wenn er noch nie im roten Gewand gelaufen ist. Siegfried hat zwei erwachsene Töchter und ist in zweiter Ehe mit Hedwig verheiratet, mit der er die Sommermonate am liebsten auf einem Camping- platz am Bodensee verbringt.
Als Schulleiter hast du Lehrpersonen, Schüler und Schülerinnen begleitet; als Chlaus-Chef tust du dasselbe mit Samichläusen, Schmutzlis und Kindern. Lässt sich das vergleichen?
In der Schule hatte ich es mit Menschen zu tun, die alle den gleichen Beruf gewählt haben. Hinter den Bärten von Samichlaus und Schmutzli hingegen verbergen sich Männer, die aus allen Berufen und Schichten kommen. Es sind spannende Menschen, mit denen ich sehr gerne arbeite. Gemeinsam ist allen eines: Sie haben Freude an einem sozialen Engagement.
Jedes Jahr führt die StNG einen Monat vor der Aktion einen Einstimmungs- und Ausbildungstag durch. Doch ob das, was doziert wird, auf fruchtbaren Boden fällt, bleibt unklar. Wie lässt sich die Qualität eines Samichlaus-Besuches kontrollieren?
Die Qualitätskontrolle ist tatsächlich ein Problem; es ist erkannt. Wir, die Präsidentin und ich, können nur auf das Feedback abstellen, das Eltern uns geben – und das ist meistens negativ, weil viele Leute lieber reklamieren als gratulieren. Zusammen mit dem Ausbildungsteam und einigen Samichläusen führten wir des- halb letzten September einen Workshop durch. Wir legten Haltungen und Werte fest zu den Themen «Rollen», «Inhalte und Organisation der Feiern» und «auftretende Probleme». An diesen Qualitätsstandards, die übrigens nicht neu sind, wollen wir die Aktiven messen. Für die neu eintretenden Schmutzlis ist die erste Aktion eine Art beidseitige Probezeit. Am Ende der Aktion setze ich mich mit diesen Schmutzlis zusammen und kläre, ob eine weitere Zusammenarbeit möglich und von beiden Seiten erwünscht ist.
„Würde kann man nicht lernen. Aber man kann sie anziehen!“
Worauf kommt es an? Welche Eigenschaften muss ein guter Samichlaus haben?
Dazu fällt mir spontan ein Begriff ein, der leider ein bisschen aus der Mode gekommen ist: Würde. Ein Samichlaus muss, wenn er die Stube betritt, den Raum mit Würde ausfüllen – mit einer Ausstrahlung, die Liebe mit Autorität verbindet. Die Liebe verleiht ihm jene Authentizität und Glaubwürdigkeit, die ihn zum Freund der Kinder macht; die Autorität gibt ihm beispielsweise das Recht, ja die Pflicht, das Setting für seinen Auftritt zu gestalten – etwa, indem er den Gastgeber gegebenenfalls bittet, den Fernseher abzustellen oder Kerzen anzuzünden.
Würde, Liebe, Autorität – das sind Qualitäten, die die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen, aber kaum trainiert oder erlernt werden können. Kannst du, wenn einer als Schmutzli oder Samichlaus laufen will, immer gleich erkennen, ob er diese charakterlichen Voraussetzungen mitbringt?
Nicht immer, nicht zuverlässig – aber ich habe in den letzten zwei Jahren eine interessante Beobachtung gemacht: Die Männer, die mit ihren Zivilkleidern in die Zentrale kommen, sind nicht mehr dieselben, wenn sie im braunen oder roten Gewand hinausgehen: Sie bewegen sich anders, sie treten anders auf – sie haben sich verändert. Das Kostüm hat sie verwandelt. Das ist natürlich nicht alles, aber ein wichtiger Aspekt. Würde kann man nicht lernen. Aber man kann sie anziehen.
Kommt es vor, dass du einen Samichlaus oder Schmutzli seines Amtes entheben musst, weil er nicht über die charakterlichen Voraussetzungen verfügt?
Letztes Jahr habe ich mich von einem neuen Schmutzli einvernehmlich getrennt.